Die neue Geschäftsführerin von Oikocredit: Interview mit Mirjam ’t Lam

Die neue Geschäftsführerin von Oikocredit: Interview mit Mirjam ’t Lam

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Ein Interview über ihre berufliche Laufbahn, ihre Motivation und das kommende Jahr 2022

Seit 1. Dezember 2021 ist Mirjam ’t Lam Managing Director von Oikocredit International. Sie kam im November 2020 als Direktorin für Finanzen und Risikomanagement zur Genossenschaft und war zuletzt einige Monate Interimsgeschäftsführerin. Wir haben Mirjam ’t Lam zu ihrer beruflichen Laufbahn befragt. Außerdem interessierte uns, was sie persönlich antreibt, wie sie Oikocredit sieht, wie sie das letzte Jahr einschätzt und was sie für 2022 erwartet.

Sie sind jetzt erst gut ein Jahr bei Oikocredit. Was sind Ihre bisherigen Erfahrungen?

Es ist mir eine große Freude, für eine Organisation mit einem so einzigartigen und wichtigen Ziel zu arbeiten. Wenn man bedenkt, dass während der Covid-19-Pandemie nach Angaben der Weltbank weltweit etwa 100 Millionen Menschen in Armut geraten sind, ist es heute wichtiger denn je, mit verantwortungsvollen Investitionen Menschen mit geringem Einkommen zu helfen, ihr Leben zu verbessern.

Aber mich inspiriert nicht nur die Mission von Oikocredit, sondern auch die Kultur der Zusammenarbeit und die Art und Weise, wie unsere Anleger*innen, Mitarbeiter*innen und Partnerorganisationen ihr gemeinsames Ziel verfolgen. Ich kam während der Coronapandemie zu Oikocredit. Für viele Menschen und Unternehmen war das eine schwere Zeit. Aber unsere Genossenschaft hat bewiesen, dass wir unsere wichtigsten Aufgaben trotzdem erfüllen konnten: Finanzierung von und Beratung für unserer Partner. Wir haben aufgrund der Folgen der Pandemie 2020 zwar einen Verlust verbucht, aber auf der Generalversammlung im Juni 2021 haben uns unsere Direktmitglieder ganz klar ihr Vertrauen ausgesprochen. Und im letzten Jahr waren wir auch wieder rentabel.

Was waren die für Sie außergewöhnlichsten Momente?

Am 2. Dezember 2021 fand unsere erste außerordentliche Mitgliederversammlung seit der Gründung von Oikocredit vor 46 Jahren statt. Ich fand sie sehr außergewöhnlich, weil unsere Direktmitglieder eine bemerkenswerte Solidarität gezeigt haben und bereit waren, einander zuzuhören, um gemeinsam ein neues zukunftsfähiges Geldanlagemodell zu entwickeln. Auf dieser Versammlung konnte man sehen, wie unsere Genossenschaft arbeitet.

Beeindruckend fand ich auch die Veröffentlichung unseres Wirkungsberichts im September. Er enthält Informationen dazu, welche Wirkung unsere Investitionen in Partnerorganisationen in unseren Schwerpunktbereichen erzielen: im Bereich der finanziellen Inklusion, der Landwirtschaft und der erneuerbaren Energie. Der Bericht macht auch deutlich, warum es so wichtig ist, vor Ort zu sein, um die richtigen Partner für die Zusammenarbeit zu finden. Der Wirkungsbericht enthält eine Fülle aussagekräftiger Daten und gibt einen guten Einblick in unsere Arbeit während der Pandemie.

Was mich auch begeistert hat, ist das Engagement der Mitarbeiter*innen von Oikocredit. Sie haben hart gearbeitet, um unser Entwicklungsfinanzierungsportfolio 2021 wieder aufzubauen, Gewinne zu erzielen und nach einem neuen Geldanlagemodell zu suchen.

Was waren die größten Herausforderungen?

Unsere Genossenschaft durch die schwierige Zeit zu steuern, war eine Herausforderung – als Mitglied der Geschäftsführung sowie als zunächst Interims- und jetzt Geschäftsführerin. Covid-19 hat uns allen viel abverlangt. Wir mussten lernen, mit der Pandemie zu leben. Gleichzeitig musste das Geschäft weiterlaufen, und wir mussten Wege finden, weiter effizient mit unseren Partnerorganisationen, Mitgliedern und Anleger*innen zusammenzuarbeiten. Außerdem gab es Veränderungen im Aufsichtsrat und in der Geschäftsführung von Oikocredit International. Das ist eine Herausforderung für alle Beteiligten, auch für mich persönlich, aber wir werden weiter im besten Interesse von Oikocredit arbeiten.

Sie waren anfangs Direktorin für Finanzen und Risikomanagement. Was hat Sie dazu bewegt, Geschäftsführerin zu werden?

Geschäftsführerin zu sein war schon lange meine Ambition – vorausgesetzt ich finde eine Organisation, mit der ich mich voll und ganz identifizieren kann, und in der ich von allen Mitarbeiter*innen und anderen Stakeholdern unterstützt werde. Genau die habe ich mit Oikocredit gefunden – eine Genossenschaft, in der meine persönlichen Überzeugungen zum verantwortlichen Investieren gelebt werden.

Wie haben Ihre Ausbildung und Ihre Erfahrungen Sie auf Ihre neue Rolle als Geschäftsführerin vorbereitet?

Ich war lange bei der Rabobank Group tätig, einer genossenschaftlichen Bank, wo ich in der Beratung, im kaufmännischen Bereich und in anderen Funktionen gearbeitet habe. Ich bin überzeugt von genossenschaftlichen Konzepten, die auf Zusammenarbeit beruhen, langfristig orientiert sind und solidarisch arbeiten – und ich halte Präsenz vor Ort für sehr wichtig. Während meiner Zeit bei der Rabobank war ich über ein Jahr in Indien und anderen Teilen Asiens, wo ich mich intensiv mit erneuerbarer Energie befasste. In Ruanda habe ich im Bereich Mikro-Wasserkraftwerke gearbeitet. Und als Chief Financial Risk Officer bei Rabo Development (jetzt Rabo Partnerships) hatte ich einen ähnlichen Ansatz zur Verbesserung des Zugangs zu Finanzdienstleistungen wie Oikocredit. Ich bin dankbar, dass ich immer gute Mentor*innen und Manager*innen hatte, die mir geholfen haben, mich auf Führungsaufgaben vorzubereiten.

Was können Sie zur Leistung von Oikocredit im letzten Jahr sagen?

Wie unserem Bericht vom Ende des 3. Quartals 2021 zu entnehmen ist, haben wir im letzten Jahr das Entwicklungsfinanzierungsportfolio der Genossenschaft neu aufgebaut, nachdem es 2020 an Wert verloren hatte und wir Verlust gemacht hatten. Die Finanzergebnisse für das Gesamtjahr 2021 liegen noch nicht vor, aber ich gehe von einer positiven Entwicklung aus. Volumen und Qualität des Portfolios dürften ebenso gestiegen sein wie das bei Oikocredit angelegte Kapital, die laufenden Erträge und die Rentabilität. Auch bei der Beratung und den Schulungen geht es weiter gut voran, und unsere erste Umfrage zur Endkund*innen-Selbsteinschätzung („Client Self-Perception Survey“), deren Ergebnisse bald veröffentlicht werden, ist ein neuer Meilenstein. Sie bietet zahlreiche Erkenntnisse für unsere künftige Arbeit. Ich bin froh, dass das letzte Jahr so gut geendet hat.

Was erwarten Sie für 2022?

Das kommende Jahr wird ein Jahr des Übergangs werden. Die Welt muss sich vor Augen führen, dass Covid-19 in Zukunft wohl zum Alltag gehören wird, und wie wir die Wirtschaft in Zukunft gestalten wollen. Für Oikocredit bedeutet das, dass wir unser Tagesgeschäft optimieren und für die Menschen, die wir unterstützen, noch mehr bewirken müssen. Wir werden von unserer aktuellen Strategie (2018-2022), die unter anderem auf Effizienz und der Reduktion von Komplexität ausgerichtet war, zu unserer neuen, werteorientierten Strategie (2022-2026) übergehen. Ihr innovativer Ansatz besteht darin, die Selbstermächtigung unserer Kund*innen zu unterstützen. Das tun wir, indem wir Resilienz auf Gemeinschaftsebene aufbauen. Wir gehen davon aus, dass wir in der ersten Jahreshälfte 2022 unser neues Geldanlagemodell offiziell verabschieden und es dann bei unseren Direktmitgliedern, Förderkreisen und anderen Stakeholdern implementieren werden. Und wir freuen uns auf neue Kolleg*innen im Aufsichtsrat und in der Geschäftsführung, die die aktuell offenen Stellen besetzen.

Welche Rolle sollte Oikocredit aus Ihrer Sicht langfristig spielen?

Oikocredit war schon immer eine Vorreiterin im wirkungsorientierten Investieren und hat als Katalysator viel bewegt. Daran wird sich nichts ändern. Mit unserer neuen, auf Gemeinschaften ausgerichteten Strategie wollen wir Vorreiterin bei Innovationen in der Entwicklungsfinanzierung bleiben und flexibel auf neue Chancen und Herausforderungen reagieren. Außerdem wollen wir bei unseren Mitgliedern und Anleger*innen ein größeres Bewusstsein für Gemeinschaften fördern und Oikocredit als eine Bewegung etablieren. Zugleich planen wir die Verbesserung unserer digitalen Kommunikation und wollen die Genossenschaft noch zukunftsfähiger machen.

Wie sehr unterscheidet sich die neue Strategie von der bisherigen?

Die neue Strategie baut auf unserer aktuellen auf und weitet sie aus. Sie wird sie also nicht vollständig ersetzen. Ab 2022 wollen wir unseren Einfluss in neuen Investmentbereichen nutzen und ein günstiges Umfeld für wirtschaftlich benachteiligte Menschen schaffen. Die Kund*innen und Mitglieder unserer Partnerorganisationen sollen langfristig bessere Chancen auf ein Leben in Würde haben. Dazu werden wir in den nächsten Jahren ein Fünftel unseres Kapitals in die dauerhafte Verbesserung der von unseren Partnern erreichten Gemeinschaften investieren, beispielsweise in Wohnprojekte, Bildung, Gesundheit, Wasser und sanitäre Anlagen. Hier waren wir in den letzten Jahren nicht aktiv, aber nach Einschätzung unserer Partnerorganisationen sind Investitionen nötig, um die Gemeinschaften widerstandsfähiger zu machen. Zusammen mit unseren Partnern und anderen Mitgliedern unseres internationalen Netzwerks entwickeln wir zurzeit flexible Lösungen für diese Bereiche. Vier Fünftel unseres Portfolios werden weiter in finanzielle Inklusion, Landwirtschaft und erneuerbare Energie investiert, um in unseren 33 Schwerpunktländern etwas zu bewirken. An unserer Mission, die Selbstermächtigung von wirtschaftlich benachteiligten Menschen mit nachhaltigen Investitionen zu fördern, wird sich nichts ändern.

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